Erinnert ihr euch noch an den Verano Ácrata? Den Wein für den langen Sommer der Anarchie? Nun ist sein Nachfolger, der Primervera Ácrata am Start. Jahrgang 2018, rot und rosé, zu beziehen über das Gemein & Nützlich – Vertriebskollektiv. Wie der Name bereits andeutet wird mit ihm einem – hierzulande – weniger bekannten Kapitel der spanischen Geschichte gedacht: dem Streik La Canadiense.
La Canadiense – Als in Barcelona das Licht ausging
Was im Februar 1919 als Solidaritätsstreik bei einem Energieunternehmen in Barcelona begann, sollte sich schnell zu einem Generalstreik in ganz Katalonien ausweiten und letztlich zu einem der größten Erfolge der spanischen Arbeiterbewegung werden.
Ausgangspunkt dieses Konflikts waren zwei Kontrahenten, die beide 1910 erstmals in Katalonien auf der Bildfläche erschienen. Auf der einen Seite der Konzern Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited, aufgrund des kanadischen Firmensitzes als La Canadiense bekannt. Auf der anderen Seite die Confederación Nacional del Trabajo, die legendäre anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT.
La Canadiense hatte in den 1910er Jahren die Energieversorgung Kataloniens mithilfe der Wasserkraft – der weißen Kohle – revolutioniert. Als wichtigster Stromversorger bildete das Unternehmen nicht nur das Rückgrat der aufstrebenden Industrie, sondern versorgte von seinem Hauptsitz in der Avenida del Paralel die gesamte Metropole Barcelona mit seinen damals 700 000 Einwohnern mit Elektrizität. Noch heute ragen die drei alten Schornsteine der Fabrik über das einstige Arbeiterviertel und sind längst zum Symbol für eine der heftigsten Klassenauseinandersetzungen der spanischen Geschichte geworden.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Am 5 Februar 1919 traten einige Beschäftigte aus der Verwaltung des Stromversorgers in einen Streik. Hintergrund war die Entlassung von 8 Kollegen, die gegen Lohnkürzungen protestiert hatten. Schon damals versuchte das Management, sowohl in Barcelona wie in den Kraftwerken in den Pyrenäen feste Arbeitsverträge zu befristen und die betroffenen Arbeiter schlechter zu bezahlen. Die Streikenden forderten gleichen Lohn für gleiche Arbeit und die Wiedereinstellung der Entlassenen. Das Management reagierte unnachgiebig auf den Protest und ließ die Streikenden von der Polizei räumen.
Dieser Konflikt traf auf eine ohnehin unzufriedene Arbeiterschaft, die in den Kriegsjahren bluten musste, während die Unternehmen satte Profite einfuhren. Er traf aber ebenso auf eine Arbeiterschaft mit neuem Selbstbewusstsein. Die revolutionäre Gewerkschaft CNT hatte nach dem Krieg einen enormen Zulauf. Allein in Katalonien hatte die junge Organisation zu diesem Zeitpunkt mehr als 400 0000 Mitglieder. Die etablierte sozialistische, auf Reformen ausgerichtete Gewerkschaft UGT geriet erstmals ins Hintertreffen. Auch die revolutionären Erhebungen in ganz Europa, insbesondere die Russische Revolution, blieben nicht ohne Wirkung.
Kurz zuvor hatte die CNT ihre Struktur von Berufs- auf Branchenverbände umgestellt, was zudem ein Grund dafür war, dass sich die Solidarität mit den Streikenden von »La Canadiense« schnell ausweitete. Innerhalb weniger Tage breitete sich der Streik auf andere Abteilungen und dann auf die gesamte Branche aus. Andere Industrien solidarisierten sich. Zu Höchstzeiten lagen 70% der katalanischen Wirtschaft lahm.
Am 8. Februar weitete sich der Streik auf das gesamte Unternehmen aus. Am 17. Februar traten die Arbeiter in der für Katalonien vorherrschenden Textilindustrie in den Streik. Am 21. Februar schlossen sich die Belegschaften der übrigen Stromversorger dem Streik an. »Alle Maschinen und Stromkabel wurden abgetrennt und alle Dienste waren gelähmt«, schrieb das Institut für Sozialreformen (IMS) in einem zeitgenössischen Bericht. Ihnen folgten am 26. Februar die Belegschaften der Gas- und Wasserversorger und am 7. März die Eisenbahner. Entsprechend wurden die Forderungen offensiver: Lohnerhöhungen, Einführung des Achtstundentages, halbtags frei an Samstagen, Abschaffung der Akkordarbeit, volle Auszahlung des Wochenlohns bei Ausfällen nach Unfällen und Verbot der Kinderarbeit.
Barcelona: Eine Stadt in den Händen der Arbeiter
Barcelona lag lahm. Nicht nur die Strom-, Wasser und Gasversorgung, auch der öffentliche Verkehr, Banken, große Geschäfte, Kinos und Theater wurden bestreikt. Selbst die Leuchtturmwärter schlossen sich dem Streik an. Die Angst hatte offensichtlich das Lager gewechselt. So berichtet einer der Streikführer, Ángel Pestaña, in seinen Memoiren: »Es gab manche, die ihre Türen mit Matratzen, Stühlen und allem möglichen verbarrikadierten, weil sie Angst hatten, dass wir Revolutionäre die Häuser stürmen, rauben und plündern würden.«
Auch die Regierung wurde nervös. Die Wiederherstellung der »Ordnung« schien das oberste Gebot. Der Ministerpräsident Graf de Romanones hatte bereits seinen Rücktritt angekündigt, sobald diese wieder hergestellt sei. Am 9. März erließ die Regierung einen Erlass, der alle Streikenden zum Militär einberief – unter Androhung mehrjähriger Haftstrafen. Am 14. März folgte die Ausrufung des Ausnahmezustand, um eine Ausweitung des Streiks auf ganz Spanien zu verhindern.
Beide Vorstöße konnten den Streik jedoch nicht brechen. Die Zeitungen, die ebenfalls gewerkschaftlich organisiert waren, praktizierten die censura roja (Rote Zensur), verschleppten oder verweigerten den Abdruck der Regierungsdekrete. Mit ein Grund dafür, dass die meisten Streikenden ihrer Einberufung nicht nachkamen. Aber entscheidender war das Wissen um die eigne Macht.
Die Regierung knickt ein
Zwar wurden 3000 Streikende festgesetzt, allerdings blieb der Regierung nichts weiter übrig, als auf Verhandlungen einzugehen – und Zugeständnisse zu machen. Bereits am 11. März wurde das Renteneintrittsalter durch königlichen Erlass auf 65 Jahre verkürzt. Zwischen dem 15. und 17. März fanden schließlich Verhandlungen mit dem Streikkomitee statt. Auf einer Versammlung in der Stierkampfarena Las Arenas sprach sich der bekannteste Streikführer Salvador Seguí – Spitname: El noi del sucre (Der Zuckerjunge) – für die Annahme der Verhandlungsergebnisse aus. Trotz Kritik vom radikaleren Flügel der CNT beschlossen die mehr als 20 000 versammelten Mitglieder die Wiederaufnahme der Arbeit am 20. März.
Nach 44 Tagen Streik gelang, neben der Entlassung von tausenden Inhaftierten, Entschädigungen für die während des Streiks entgangenen Löhne, generelle Lohnerhöhungen, Lohnfortzahlung bei Arbeitsunfällen und der Anerkennung der Gewerkschaft, vor allem die erstmalige Durchsetzung des 8-Stunden-Tages in Europa – bestätigt durch ein Regierungsdekret vom 3. April 1919, das bis heute Bestand hat und selbst unter dem Franco-Regime (1939-1977) nicht rückgängig gemacht wurde.
Die Reaktion
Der Konflikt läutete eine Phase verschärfter Klassenkämpfe in Spanien ein, die letztlich in der Sozialen Revolution von 1936 mündete. Weder die folgende Militär-Diktatur Primo de Riveras (1923-1930), in der die CNT verboten wurde, noch die Gründung der Zweiten Republik (1931) war in der Lage, die sozialen Konflikte zu befrieden. In den Jahren bis zur Militärdiktatur gehörten bewaffnete Auseinandersetzungen und Anschläge zum Alltag in Barcelona. Hunderte fielen dem zum Opfer, darunter auch der Streikführer Salvador Seguí.
Die Unternehmer, denen die Zentral-Regierung in diesem Konflikt zu nachgiebig auftrat, schlossen sich umgehend nach dem Streik zu einem einheitlichen Verband zusammen und suchten den Schulterschluss mit dem Militär. Sie waren nicht bereit, die Niederlage zu akzeptieren, und versuchten ihre Interessen mit allen Mitteln durchzusetzen.
Bereits wenige Tage nach Wiederaufnahme der Arbeit, musste die CNT erneut zu einem dreiwöchigen Generalstreik aufrufen, um 5 in Haft verbliebene Genossen freizupressen. Dieser blieb allerdings erfolglos, ebenso wie der Versuch der Unternehmer im Dezember 1919, die Arbeiter durch mehrmonatige Aussperrungen dazu zu zwingen, ihre CNT-Ausweise abzugeben.
Schon vor dem Streik hatten die Unternehmer begonnen, paramilitärische Einheiten aufzubauen – die sogenannten Pistelleros, die gezielt Jagd auf CNT-Mitglieder machten. Als Antwort darauf bildeten sich in den Reihen der CNT militante Aktions-Gruppen. Die wohl bekannteste darunter war Los Solidarios um das sogenannte Schwarze Kleeblatt Bonaventura Durruti, Francisco Ascaso und Juan García Oliver. Alle drei wurden zu zentralen Figuren in den Auseinandersetzungen der folgenden Jahren. Ebenso wie in der kommenden Sozialen Revolution von 1936.
Hansi Oostinga